Haushaltsrede: Die Grünen
Haushaltsrede von Michael Jansen (B90 Die Grünen) zu den Haushaltsjahren 2025 und 2026.
Wichtiger Hinweis:
Die nachfolgenden Redebeiträge wurden von den jeweiligen Ratsfraktionen und fraktionslosen Ratsmitgliedern im Rahmen der Haushaltsberatungen am 19. Februar 2025 gehalten. Die Stadtverwaltung Bocholt stellt diese Reden ungekürzt und unverändert zur Verfügung, übernimmt jedoch keine inhaltliche Verantwortung. Die Aussagen spiegeln ausschließlich die Positionen der jeweiligen Fraktionen bzw. Ratsmitglieder wider. Eine Überprüfung auf inhaltliche Richtigkeit oder Vollständigkeit erfolgt seitens der Verwaltung nicht. Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Kerkhoff,
sehr geehrte Mitarbeitende der Stadtverwaltung
sehr geehrte Damen und Herren,
zunächst möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung und hier im Speziellen beim Fachbereich Finanzen und Ihnen, Frau Schlaghecken, für die viele Arbeit bei der Erstellung des Haushaltes bedanken, zumal im Sommer 2024 noch ein - aus unserer Sicht vermeidbarer - Nachtragshaushalt aufzustellen war.
B90 / DIE GRÜNEN haben sich intensiv in die stets konstruktiven Gespräche zu den Haushaltsberatungen eingebracht. Den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen gilt daher ebenfalls mein Dank.
Gleichwohl sind wir mit dem Ergebnis letztendlichen nicht zufrieden.
Einerseits haben wir uns keinen Doppelhaushalt gewünscht, da bereits heute Festlegungen getroffen werden, die dann nach der Kommunalwahl von der neuen Stadtverordnetenversammlung faktisch übernommen werden müssen.
Andererseits weist der Haushalt für die Jahre 2025 und 2026 ein Defizit von jeweils weit über 30 Mio. Euro auf. Gleichzeitig ist den Anmerkungen der Kämmerin zu entnehmen, dass für Bocholt die "fetten Jahre" vermutlich vorüber sind. Für die Zukunft droht der Ausfall von Gewerbesteuereinnahmen und der Rückgang von Zuweisungen des Landes NRW.
Bevor ich unsere Sichtweise auf den Haushalt näher beschreibe, möchte ich die Gelegenheit nutzen und einen kurzen Blick auf einige markante Themen der letzten Wochen und Monate werfen.
Am 20.03.2024 wurde die Stadtverordnetenversammlung ein Stück weit zum Wettbüro. Ein Großteil der hier Anwesenden hat seinerzeit mit fast 3 Mio. Euro Steuergeldern eine Wette darauf abgeschlossen, dass in absehbarer Zeit am Hünting Drittligafußball gespielt werden wird.
Diese Wette ist - Stand heute -nicht aufgegangen. Der notwendige sportliche Erfolg, den wir dem 1. FC Bocholt ausdrücklich wünschen, ist leider bislang ausgeblieben.
Gleichwohl musste die Verwaltung mit enormem Einsatz einen Nachtragshaushalt erstellen. Wir hatten uns seinerzeit gegen diese Entscheidung gestellt und beantragt, die Beratungen über die Unterstützung des 1.FC Bocholt in die Haushaltsberatung 2025 zu vertagen. Dies wäre im Rückblick die eindeutig bessere Wahl gewesen.
Auch beim Thema Mobilität konnten wir bislang leider kein Gehör finden, obwohl es gerade hier neue Ansätze und Ideen braucht, um den großen Herausforderungen in Sachen Umwelt- und Klimaschutz gerecht zu werden.
Die von uns vorgeschlagene Einführung eines On-Demand-Verkehr kann eine nachhaltige Mobilität auch in ländlichen Räumen sicherstellen, und ist eine Form des ÖPNV, die auf
- die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zugeschnitten,
- wirtschaftlich tragbar und
- ökologisch sinnvoll ist.
Leider findet sich dazu in diesem Hause zurzeit keine Mehrheit.
Gleiches galt für den - von uns mit Freude zur Kenntnis genommenen - Antrag der FDP-Fraktion im Juli 2024, wonach alle anspruchsberechtigten Bocholter Schüler der weiterführenden Schulen mit dem Deutschlandticket ausgestattet werden sollten. Hier hätten wir uns eine überwältigende Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung gewünscht. Umso erstaunter waren wir, als dieser sehr gute Vorschlag dann insbesondere aus den Reihen der CDU abgelehnt wurde.
Hier wurde leider eine große Chance zur Förderung des ÖPNV sowie zur Hinführung junger Menschen zu einer nachhaltigen Mobilität vertan.
Wenn wir über unsere Stadt reden, müssen wir auch über die (Fehl-)Entwicklung der Bocholter Innenstadt reden. Befragungen zum Innenstadtstrategiekonzept sowie die Kinderkonferenzen haben deutlich gezeigt, dass wir Grünflächen im Zentrum unserer Stadt benötigen, die ohne Konsumzwang benutzt werden können. Passiert ist hier leider bislang wenig.
An dieser Stelle sei kritisch angemerkt, dass wir seit dem 03.05.2023 auf die Ergebnisse des einstimmig beschlossenen Prüfantrags warten, wonach eine gleichberechtigte und ergebnisoffene Prüfung der Entsiegelung und Begrünung des Manes-Schlatt Platzes als Alternative zur Bebauung geprüft werden soll. Die Zusage der Verwaltung, das Prüfergebnis nun endlich im März 2025 vorzustellen, haben wir zufrieden zur Kenntnis genommen.
Mehr Grün in der Innenstadt durch kleine und große Entsiegelungen ist erforderlich, um der ständigen Erwärmung entgegenzutreten. Jeder qm2 entsiegelte Fläche ist ein Gewinn für das Stadt-Klima. Wenn künftig Temperaturen von mehr als 30 Grad im Sommer zum Regelfall werden, mag man sich einen Aufenthalt z.B. am Neutorplatz kaum vorstellen. Ebenso sollte die Verweilqualität z.B. auf dem Gasthaus-Platz optimiert werden.
Mehr grün - weniger Beton und weniger Autos, so lautet unsere Devise.
Daher werden wir das Ziel einer Innenstadt, in der Menschen immer Vorrang vor Autos haben, konsequent verfolgen. Ein Einkaufsbummel vor allem mit Kindern kann nicht davon geprägt sein, bei ROT an einer vermeidbaren Ampel zu stehen oder auf ständig kreuzenden Autoverkehr achten zu müssen.
Ein weiteres großes Problem sind die vielen Leerstände in den Ladenlokalen der Innenstadt. Auch hier braucht es neue Ideen, Konzepte und auch neue rechtliche Rahmenbedingungen.
Nutzungsänderungen durch Vorgaben aus der Bauleitplanung können ein probates Mittel sein, bislang leerstehende Flächen wieder mit aktiven Menschen und Aktionen zu füllen.
Zum wachsenden Müllproblem insbesondere durch Verpackungsmüll werden wir heute über einen Prüfantrag zur Einführung einer Verpackungssteuer beraten. Hier hoffen wir auf eine breite Unterstützung dieses Hauses.
Positiv ist anzumerken, dass sich in letzter Zeit gerade im Bereich der Gastronomie wieder einiges in Bocholt tut. Umso wichtiger wäre es, wenn die Innenstadt auch sonntags gut mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar wäre.
Nicht zuletzt benötigten auch die Kunst und Kultur mehr Zeit und Raum in der Innenstadt. Dadurch wird Bocholt noch lebens- und liebenswerter und lädt zum Verweilen ein. Und wenn dann noch gute Straßenmusiker spielen dürfen, zeigt sich Bocholt von seiner schönsten Seite.
Im Januar 2025 wurden 34.498 Pkw mit Elektroantrieb neu zugelassen, das sind gut 53 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Die e-Mobilität nimmt also - wenn auch nur langsam - immer mehr Fahrt auf.
Hier sind wir gut beraten, mehr öffentliche E-Ladestationen bereitzustellen, um den Aufenthalt in der Stadt Bocholt für Einwohner*innen und Touristen zu verbessern. Als EAuto-Fahrer würde ich mir persönlich besonders wünschen, dass an einigen Ladesäulen künftig auch mehr Schnell-Ladekapazität abrufbar wäre.
Zu den möglichen neuen Standorten des Kunst- und Stadtmuseums gibt es derzeit einige Überlegungen. Uns ist besonders wichtig, dass das alte Heimatmuseum und auch das Kunsthaus in ihrer Kernstruktur als spannende Orte des Austausches und der Kommunikation erhalten bleiben.
Lassen Sie uns dieses Erbe erhalten und eine sinnvolle Nachnutzung gewährleisten.
Ein Lob möchte ich an dieser Stelle dem Fachbereich Digitales aussprechen. Die bocholt.de hat sich zu einer erfolgreichen Web-Seite gemausert und erzielt erheblichen Traffic. Aus unserer Sicht könnte dies z.B. durch die verstärkte Nutzung der Veranstaltungshinweise durch Vereine und Veranstalter noch verbessert werden. Die bocholt.de als die zentrale Auskunftsplattform für Veranstaltungen in und um Bocholt sollte unser Ziel sein.
Auch die Digitalisierungsstrategie innerhalb der Verwaltung entwickelt sich aus unserer Sicht positiv. Insbesondere die intensive Betrachtung einzelner Verwaltungsprozesse im Hinblick auf Digitalisierungsmöglichkeit und damit verbundene Ressourceneinsparung begrüßen wir sehr.
Zum Thema Stellenplan müssen wir dagegen festhalten, dass nach unseren Recherchen in den letzten Jahren unter der neunen Stadtführung fast 70 neue Stellen geschaffen wurden und gleichzeitig derzeit fast 60 Stellen unbesetzt sind.
Wir stellen die Wichtigkeit einzelner Positionen nicht grundsätzlich in Frage
ABER:
Wir möchten, dass nicht erforderliche Stellen gestrichen oder umgewidmet werden
- Die Gesamtzahl der MA steigt
- Stellen werden geschaffen (die teilweise nicht besetzt werden können)
- Nach unserer Wahrnehmung gibt es keinen Plan, der mittelfristig die Anzahl der Stellen wieder reduziert
- Durch Digitalisierung sollen künftig Stellen abgebaut werden, aber dies ist nirgendwo konkret festgelegt oder dokumentiert
Daher sehen wir den Stellenplan in der vorliegenden Form sehr kritisch und fordern die Verwaltung auf, ihre Prozesse - gerade auch durch weitere Digitalisierung - noch effizienter und schlanker zu gestalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir stehen als Menschheit vor gewaltigen Herausforderungen, deren Folgen wir heute noch nicht absehen können. Die Erderwärmung schreitet ungehindert voran. Gleichzeitig wird durch den Menschen sowie durch den Klimawandel immer mehr Lebensraum für Mensch und Tier vernichtet.
Das Artensterben nimmt ungeahnte Ausmaße an. Und wir fragen uns dann mit Blick auf den Schottergarten, wo denn nun die Schmetterlinge bleiben.
Leider dringen diese Themen gerade heute nicht mehr durch. Wir lassen uns ablenken durch aufregende Geschehnisse in aller Welt. Der Klimawandel betrifft uns ja nicht unmittelbar und es wird schon gut gehen.
In Wirklichkeit wissen wir aber, dass es nicht gut gehen wird.
Der renommierte Klimaforscher Professor Mojib Latif sagte einmal im Rahmen einer Veranstaltung der Stadtsparkasse Bocholt:
"Wir haben kein Erkenntnisproblem - wir haben ein Umsetzungsproblem".
Letztlich bedeutet dies, dass wir wissen, was kommt - aber wir tun nicht genug dagegen.
Für Bocholt ist erfreulicherweise festzuhalten, dass wir heute das Klimaschutzfolgekonzept beschließen werden. Es enthält viele wichtige Maßnahmen, deren Umsetzung wir begrüßen und künftig aktiv begleiten werden. Gleichwohl hätten wir uns an der einen oder anderen Stelle noch mehr Mut in der Formulierung und weniger Lobbyismus gewünscht.
Völlig gegenläufig dazu ist die im Haushalt verankerte Planung zum Nordring. Hier planen wir trotz vorhandener Klimawandelerkenntnis munter drauf los große Straßen in einen kerngesunden Wald.
Wir haben kein Erkenntnisproblem - wir haben ein Umsetzungsproblem.
Wir, B90 / DIE GRÜNEN, können dieses Umsetzungsproblem nicht unterstützen. Für uns stößt eine Realisierung insbesondere der Spange Hemdener Weg - Adenauer Alle an den Kern unserer politischen Auffassung.
Wir können nicht nachvollziehen, wie man in der heutigen Zeit bei den aufziehenden Klima- und Artenschutzproblemen an einer Umsetzung dieser Maßnahmen festhält und erneut eine Wette abschließt.
Diesmal lautet die Wette: der Klimawandel wird uns schon nicht betreffen und wir machen so weiter wie bisher. Aber auch diese Wette wird nicht aufgehen.
Mehr Straßen erzeugen mehr Verkehr. Wenn Autofahren schneller und attraktiver wird, werden die Straßen häufiger genutzt. So sind mit dem gleichen Zeitaufwand längere Wege möglich und problemloser machbar. Das Phänomen nennt sich induzierter Verkehr.
Auch über diese Folgewirkung dürfte kein Erkenntnisproblem bestehen.
Und lassen Sie es mich klar zum Ausdruck bringen:
Wir sind nicht per se gegen den "Nordring".
Meine Partei hat sich im Rahmen eines Grundsatzbeschlusses darauf verständigt,
- dem Westring sowie
- einer Erschließungsstraße von der Dinxperloer Str. bis zum Hemdener Weg
nicht im Wege zu stehen.
Letztlich ist auch uns daran gelegen, den Raum für Siedlungsneubau zu gewährleisten. Ebenso halten wir eine Entlastung der Dinxperloerstraße für dringend erforderlich und die Verbindungsstraße vom Westringtunnel zum Kreisverkehr Dinxperloerstraße / Hamalandstraße sollte vorrangig geplant und umgesetzt werden.
Den aktuellen Diskussionen im Ausschuss für Planung, Bau und Verkehr sowie den öffentlichen Einlassungen durch Herrn Bürgermeister Kerkhoff ist aber zu entnehmen, dass eben oder ganz besonders die Verbindung zwischen Hemdener Weg und Adenauerallee massiv vorangetrieben wird.
Dies greift unsere grüne DNA direkt an.
Wenn dann auch noch ein Doppelhaushalt zur Abstimmung steht, der Mittel für diese Maßnahme für die Zeit nach der nächsten Kommunalwahl fixiert, können wir dem einfach nicht zustimmen.
Wir werden den Haushalt daher - obwohl wir viele darin enthaltene Maßnahmen befürworten und zum Teil selbst eingebracht haben - in der vorliegenden Form ablehnen.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch auf ein Bauwerk besonderer Art eingehen: die vielbesagte "Brandmauer".
Die Entwicklungen vom 29 /30.01.2025 im Bundestag werden alle hier Anwesenden intensiv verfolgt haben. Eine eigene Meinungsbildung darüber steht jedem frei.
Wir, B90 / DIE GRÜNEN, bedauern die Geschehnisse außerordentlich und halten das Handeln der CDU-Verantwortlichen in Berlin für einen fatalen Fehler.
Für einen Fehler haben wir aber auch schon die Entscheidung in der Stadtverordnetenversammlung vom 18.09.2024 gehalten, wo es um den "Zugang zu Räumlichkeiten für politische Zwecke" ging. Warum hier ohne jede Not eine seit Jahren bestehende Regelung letztlich zugunsten der AfD aufgegeben wurde, können wir nach wie vor nicht nachvollziehen.
Unsere Hoffnung ist, dass die "Brandmauer" - sofern sie denn von den hier vertretenden demokratischen Parteien wirklich ernst gemeint ist - hier innerhalb der Stadtverordnetenversammlung hält.
Ich persönlich habe in meiner bisher nur kurzen Amtszeit ausschließlich respektvollen und wertschätzenden Umgang erfahren.
In der Sache mögen wir nicht immer einig sein - in Sachen Menschlichkeit aber hoffentlich immer.
Insofern freue ich mich auf die weitere konstruktive Zusammenarbeit mit den demokratischen Kräften dieses Hauses.
Vielen Dank