Memet Cinar
"Integration gelingt durch echte Teilhabe"
Memet Cinar ist Mitglied des Integrationsrates der Stadt Bocholt und einer der drei stellvertretenden Vorsitzenden. Im Gespräch mit Bruno Wansing, dem Integrationsbeauftragten der Stadt Bocholt, wird er für die Reihe "Wir im IR" vorgestellt.
Der 1972 geborene Memet Cinar hat mit seiner Frau Behice zwei Kinder. Ali Aydin ist 22 Jahre alt, Ümit Emre ist 17. Cinar lebt seit 1987 in Bocholt. Aufgrund fehlender Sprachkenntnisse wurde er in der Melanchthonschule zwei Klassen zurückgesetzt. Das holte er schnell auf und begann nach dem Schulabschluss eine Lehre als Zerspanungsmechaniker bei FLENDER. Nach der Ausbildung machte er - quasi nebenbei - noch seinen Techniker und bekam schon vor Abschluss der Technikerprüfung einen Job in der Produktionsplanung.
Im Integrationsrat ist er seit 2004 ständiges Mitglied. Zunächst war er noch Mitglied der DITIB-Liste, seit 2020 ist er als Einzelbewerber gewähltes Mitglied im aktuellen Integrationsrat und einer der drei stellvertretenden Vorsitzenden. "Ich habe den Weg vom Listenplatz zum Einzelbewerber ganz bewusst gewählt", berichtet Cinar. In der DITIB-Liste sei er schon der Wortführer gewesen und habe oft als Einzelkämpfer da gestanden immer aber mit der Maßgabe die Meinung der Liste vertreten zu müssen. "Für mich war wichtig, dass ich meine eigene Meinung vertreten kann. Das ist mir jetzt als Einzelbewerber möglich", betont Cinar. Überrascht war er von dem Erfolg seiner Bewerbung. "Als Einzelbewerber habe ich mit so vielen Stimmen nicht gerechnet", berichtet Cinar.
Insgesamt möchte ich, dass sich alle Menschen, egal ob geborener Bocholter oder Mensch mit internationaler Familiengeschichte, sich hier in Bocholt wohl und zu Hause fühlt.
Memet Cinar
Integration mit echter Teilhabe
Integration habe für ihn nur dann Erfolg, wenn sie mit echter Teilhabe verbunden sei. "Da geht es darum, dass Menschen mit internationaler Familiengeschichte - politisch - mit entscheiden und gemeinsam mit gestalten dürfen", betont Cinar. Es gebe viele Menschen in Bocholt, die aus Drittländern kommen, 50 Jahre hier leben und den Bürgermeister nicht kennen. "Wenn ich nicht mitbestimmen kann (weil ich nicht wählen darf), wie meine Stadt aussieht, wie sich meine Stadt entwickelt, dann verliere ich das Interesse. Deswegen ist es wichtig, dass wir das Interesse für die politische Arbeit wecken", fordert Cinar. Die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt müssten doch wissen, wer über die Stadtgestaltung, Gebührenentwicklung usw. entscheidet. Deshalb müsse das kommunale Wahlrecht dahingehend geändert werden, dass auch Menschen mit internationaler Familiengeschichte, die keinen deutschen Pass haben, an den Kommunalwahlen teilnehmen können. "Diesem Personenkreis wird oft vorgeworfen, dass er sich nicht für die Politik in der Stadt interessiert. Aber es ist doch so, dass ich an Dingen, die ich selber nicht (mit) beeinflussen kann, dann auch kein Interesse habe.
Kultursensible Pflege, interkultureller Austausch, Chancengleichheit
Im Rahmen seiner Integrationsarbeit hat sich Cinar auch Schwerpunkte gesetzt. Neben dem großen Bereich der "kultursensiblen Pflege", hier ist er auch im Arbeitskreis des Integrationsrates aktiv, setzt er sich für den interkulturellen Austausch in Schule und Verein ein und möchte das Thema "Chancengleichheit" thematisieren. "Es kommt schon mal vor, dass Menschen zu mir kommen und sich beschweren, dass ihr Sohn in der Schule eine schlechtere Note bekommt, nur weil er Ali heißt", berichtet Cinar. Derartige Dinge müsste man verifizieren und anschließend thematisieren. Im Bereich Integration im und durch Sport möchte er gerade bei den Menschen mit internationaler Familiengeschichte die Eltern der Sportlerinnen und Sportler, die oft nicht mit involviert seien, mit ins Boot nehmen. "Es wäre doch super, wenn sich die Eltern gleich auch mit engagieren würden, als Trainer, Betreuer, Begleiter, bei der Vorstandsarbeit usw", wünscht sich Cinar. Beim Thema Rassismus, unbewusster Diskriminierung will er sich dafür einsetzen, dass das Verhältnis Sender/Empfänger sich verbessert. "Den Sender müssen wir dafür sensibilisieren, dass manches einfach so nicht gesagt bzw. falsch und diskriminierend verstanden werden kann und beim Empfänger müssen wir da hinkommen, dass er nicht gleich beleidigt ist und zumacht sondern auch mal über gewisse Dinge hinwegsieht", fordert Cinar.
Sprache in der dritten und vierten Generation nicht mehr das Hauptthema
Die deutsche Sprache sei zwar wichtig vor allem bei den Menschen, die aktuell nach Deutschland kämen. "In der dritten oder vierten Generation der Menschen mit internationaler Familiengeschichte, die in Deutschland und besonders hier in Bocholt heimisch geworden sind, ist die deutsche Sprache kein Thema mehr. Da müssen wir uns im Gegenteil darum bemühen, dass die Herkunfts-, die Muttersprache im Wege des herkunftssprachlichen Unterrichts wieder mehr in den Focus kommt. Und hier geht es mir vor allem um die Qualität, diese gilt es auf jeden Fall zu verbessern", spricht Cinar ein wichtiges Thema an.
Zusammenarbeit hat Potenzial
Auf die Frage, ob der Integrationsrat von Rat, Verwaltung und auch durch die Gesellschaft akzeptiert wird, differenziert er seine Antworten. "Im Verhältnis Rat und Integrationsrat gibt es, was die echte Zusammenarbeit anbelangt, noch einiges an Potenzial", ist sich Cinar sicher. Die Verwaltung sei sehr interessiert, sei positiv bemüht, gerade Themen, die Menschen mit internationaler Familiengeschichte beträfen, auch anzusprechen. Das sei z.B. bei den Themen Friedhof und kultursensible Pflege der Fall. "Das funktioniert", so Cinar. In der Gesellschaft sei der Integrationsrat insgesamt noch nicht so bekannt. "Da müssen wir auf jeden Fall mehr in den Focus kommen und selber auch dafür sorgen, dass wir bekannter werden", sieht Cinar auch Ansatzpunkt beim Integrationsrat selber. "Ich habe im Gespräch mit einer Mitarbeiterin einer Senioreneinrichtung mal gefragt, wie bekannt der Integrationsrat sei. Die Antwort 'eigentlich so nicht' hat mich dann doch schon arg enttäuscht, da müssen wir was tun", fordert Cinar.
Beim Thema "interkulturelle Öffnung der Verwaltung", sieht er die Stadtverwaltung auf einem guten Weg. "Die Verwaltung ist interkulturell offen, nur das weiß keiner so richtig. Da müssen alle, Rat, Verwaltung, Integrationsrat, aber auch unsere Kulturvereine dran arbeiten, dass den Menschen mit internationaler Familiengeschichte klar ist, dass die Verwaltung Arbeitgeber für jede und jeden ist und sich jeder und jede auch dort bewerben kann", positioniert sich Cinar deutlich.
Menschen sollen sich in Bocholt zu Hause fühlen
Einen direkten speziellen Wunsch, den er in dieser Wahlperiode erfüllt haben möchte, hat er nicht. "Gleichwohl möchte ich, dass die Bausteine, die wir jetzt setzen, in 5, 10 Jahren Früchte tragen. Wenn dann die Menschen hier sagen, das war richtig und das war ein Verdienst des Integrationsrates wie z.B. beim muslimischen Grabfeld, dann haben wir vieles richtig gemacht", blickt Cinar hoffnungsvoll in die Zukunft. "Insgesamt möchte ich, dass sich alle Menschen, egal ob geborener Bocholter oder Mensch mit internationaler Familiengeschichte, sich hier in Bocholt wohl und zu Hause fühlt".