30. Oktober 2023
Rathaus
Gemeinsame Erklärung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Kreises Borken zur Flüchtlingssituation in Abstimmung mit dem Kreis Borken
Die Stadtspitzen der Kreiskommunen, darunter auch Bocholts Bürgermeister Thomas Kerkhoff, schlagen Alarm und warnen vor einer Überforderung der Städte im Zuge der Flüchtlingsunterbringung.
Beim Treffen in Stadtlohn am 27.10.2023 gaben sie gemeinsam mit dem Kreis Borken eine Erklärung ab. Darin fordern sie Unterstützung von Land und Bund.
Kernaussagen
1. Die Städte und Gemeinden im Kreis Borken sehen sich aufgrund der in den letzten Wochen sehr stark steigenden Anzahl an Zuweisungen an der Grenze der Machbarkeit. Bei weiteren Zuweisungen wird eine massive Überforderung eintreten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der vielen hier bereits aufgenommenen Flüchtlinge in den vergangenen Jahren.
2. Aktuell versorgen wir 4.655 Personen allein aus der Ukraine. Über zweitausend Geflüchtete aus vielen Ländern der Welt kommen hinzu, die wir in Notunterkünften und angemieteten Liegenschaften versorgen, insgesamt sind das über 6.700 Personen im Kreis Borken. Hinzu kommen diejenigen Flüchtlinge, die privat untergekommen sind und versorgt werden. Allein seit dem 01.08.2023 sind den Kommunen im Kreis Borken bis heute weitere 1.246 Personen zugewiesen worden, viele weitere Personen sind angekündigt. Die Akzeptanz in der Bevölkerung sinkt deutlich. Wir Kommunen im Kreis Borken wollen helfen, sehen allerdings die Grenzen unserer Möglichkeiten überschritten. Ohne solidarische Unterstützung aus der Bürgerschaft und Priorisierung innerhalb der Verwaltungen hätten wir bereits in der Vergangenheit die Grenze erreicht.
3. Es ist in Summe nicht zielführend, Menschen über einen längeren Zeitraum auch in Turnhallen und Gewerbehallen unterzubringen. Diese Übergangslösungen haben ihren zeitlichen Horizont bereits deutlich erreicht. So werden wir den Menschen nicht mehr gerecht.
4. Neben der wachsenden Schwierigkeit Notunterkünfte zu generieren, ist insbesondere eine Versorgung der Kinder und Jugendlichen in Schule und Kita nicht mehr möglich. Zum einen stehen nicht ausreichend räumliche und personelle Kapazitäten zur Verfügung. Zum anderen ist es nicht angemessen möglich, innerhalb eines Schulsystems derart vielen Schülerinnen und Schülern mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen in Bezug auf Sprache und Vorbildung gerecht zu werden. Diese Aufgabe lässt sich nicht mehr in vorhandenen kommunalen Strukturen und Standards lösen.
5. Eine besondere Herausforderung ist die Unterbringung vieler junger alleinreisender Männer aus vielen Teilen der Welt und sehr unterschiedlichen Kulturen, die oft mit hohen Erwartungshaltungen gezielt nach Deutschland kommen.
6. Durch die aktuell notwendige sehr enge Belegung von Flüchtlingsunterkünften sind zwischenmenschliche und soziokulturelle Konflikte vorhanden und verstärken sich zunehmend.
7. Die Unterbringung einer hohen Anzahl von geflüchteten Personen aus der Ukraine und anderen Herkunftsländern war in der Vergangenheit möglich. Nur ein Teil der Personen ist im Hilfebezug. Eine Integration in Arbeit ist erst in Teilen gelungen.
8. Wenn sie sich im Hilfebezug befinden, ist eine Integration in Arbeit zunehmend schwierig, u.a., weil es aufgrund der vergleichsweise hohen Sozialleistungen zunehmend unattraktiv ist, durch Arbeitseinkommen unabhängig von staatlichen Sozialleistungen zu werden.
9. Menschliche Schicksale erleben wir bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Es ist nicht mehr möglich, dieser wachsenden Personengruppe gerecht zu werden. Alle Kapazitäten sind erschöpft. Betreuungskapazitäten in räumlicher und personeller Hinsicht stehen nicht mehr zur Verfügung.
10. Auch die Beschäftigten in der Betreuung und Verwaltung sind massiv und systematisch überlastet. Der Fachkräftemangel verstärkt den Effekt.
Forderungen an handelnde Personen in der Politik
1. Eine unbegrenzte Zuweisung von geflüchteten Personen in die Kommunen muss ein Ende haben. Dies gilt insbesondere für Wirtschaftsflüchtlinge. Es bedarf einer definierten Belastungsgrenze für die Kommunen.
2. Es dürfen den Kommunen nur Personen mit Bleibeperspektive zugewiesen werden.
3. Der Sozialstandard auf europäischer Ebene muss dringend angeglichen werden. Dazu gehört auch, Sachleistungen und Bezahlkarten einzuführen.
4. Die Asylverfahren sind zu beschleunigen. Bei Ablehnung muss unmittelbar eine Rückführung erfolgen.
5. Für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Kita und Schule müssen ggfls. und zumindest perspektivisch alternative Organisationsformen geschaffen werden.
6. Für die wenigen einzelnen Personen mit unangemessenem Verhalten müssen unmittelbar wirkende Maßnahmen ermöglicht und umgesetzt werden.
7. Die Integration in den Arbeitsmarkt muss vorrangig weiter forciert werden. Es bedarf äußerer Anreize, Verpflichtungen und auch verbindlicher Vereinbarungen, die im Bürgergeld nicht mehr vorgesehen sind. Beispielhaft genannt seien eine durchgehende Anwesenheit vor Ort, die Annahme von Tätigkeiten unterhalb des angenommenen Qualifikationsniveaus und auch die verpflichtende Teilnahme an Sprachkursen.
8. Für die finanziellen Aufwendungen zur Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten erwarten die Kommunen einen fairen Ausgleich von Bund und Land auch für Vorhaltekosten.
9. Derzeit haben wir in der Region einen starken Wohnungsbedarf auch ohne Zuwanderung. Dies wird absolut verschärft durch die Unterbringung von geflüchteten Personen. Daher ist zwingend ein Wohnungsbauprogramm aufzulegen, das den frei finanzierten wie den sozialen Wohnungsbau parallel anstößt. Dies setzt massive finanzielle Unterstützung von öffentlicher Seite voraus.
10. Die Welt ist in Unruhe. Es bedarf in Deutschland umfassender Pufferkapazitäten für kommende Krisen.